Sandwich Project

Aus der Abizeitung (S.26)

War es Wagemut? Was bewegte Frau Karin D. aus M. zu der folgenschweren Entscheidung, ihren lebenslustig-chaotischen Schützlingen des LK E das Angebot zu unterbreiten, sie nach London zu schaffen? Unternehmungslust? Kannte sie uns so schlecht? Londonliebe? War ihr bewusst, was sie tat?

Es schien, als wäre dies nicht der Fall. In einem Zustand der in etwa mit übermütig-lebensmüde richtig beschrieben zu sein scheint, brachte sie uns –2 (Tanja und Simon ahnten wohl das Ende...) dazu, 15 kg Utensilien des täglichen Bedarfs zusammenzuraffen und mit fliegenden, unsere Vorfreude kündenden Taschentüchern den Bahnhof von MAK zu verlassen. Völlig auf sich allein gestellt - die von ihr engagierte männliche Begleitperson (hallo, Sascha P. aus M. bzw. B.) schien nicht mehr den Kinderschuhen entwachsen als wir - lotste die Tapfere uns von Zug zu Zug, zu Flughafen, zu Flugzeug, zu Bus, zu Tube, zu Jugendherberge. Wir, fest davon überzeugt, dass der geglückte Transfer nur durch unser aller Wohlwollen zustande kam, dankten der Führerin und unterdrückten die aufkeimende Begierde, ihr all unsere Gepäckstücke, die wir sowohl von Zug zu Zug als auch zu Flughafen als auch zu Bus, zu Tube und schließlich noch 2 km kösseineähnlichem Daueranstieg zur Jugendherberge zu schleppen hatten, um die Ohren zu hauen.
War das geplante Vorfolter oder fatale Fehlorganisation, fragten wir. Mit Schwielen an den Händen, doch froh über die Tatsache, am Ziel aller LK E-Träume zu sein, hofften wir auf Letzteres und genossen die Xenophobia der Engländer, die es ihnen erlaubt, in Jugendherbergen neben angst- und abscheuerweckendem englischen Wurst- und Bohnenfrühstück auch "continental breakfast" anzubieten. Einige sich ganz auf´s Abenteuer Ausland einlassende Wagemutige ließen jedoch, oh Wunder und Graus, Croissants und Marmelade links liegen und griffen mutig zu beim englischen Angebot, das den Übrigen schon in Form von Sandwichs aus den Ohren quoll. Wir waren ihr noch immer gewogen, unserer Meisterin, wenngleich auch in Anbetracht von Blasen und Muskelkater Argwohn Einzug hielt. Noch immer nahmen wir gutgläubig an, sie wisse nicht, was sie tut, geschweige denn, was wir tun.
Wie falsch diese Annahme war, ging uns in ebendemselben Moment auf, in dem uns auch klar wurde, dass unsere Leibesschmerzen doch von einem geplanten Akt der Vorfolter rührten. Das war etwa um die Mittagszeit des Tages 1. War das der London-Sightseeing-Tag? Oder doch der Charles-Dickens-Tag? Dies lässt sich nicht so genau feststellen, wir hatten nur Charles-Dickens-Tage, deren Sinn und Zweck einzig und allein WALK! war, d.h. hinter Karin, der Anführerin, hinterherzulaufen um Stationen und Örtlichkeiten des Dickenschen Lebens von außen zu betrachten, diese jedoch weder zu betreten noch sonstige Vorteile daraus zu ziehen. Langsam wurde uns der wahre Grund für diese Reise bewusst. Wagemut, Unternehmungslust, Londonliebe? Pah. Strafe war diese als Studienfahrt geplante Kollektivfolter. Strafe dafür, dass keiner der Schützlinge seine Liebe zu Charles Dickens entdecken konnte, weshalb dieser jede Stunde verlacht und zur Zielscheibe des Spotts des gesamten LK E wurde. "Great Expectations"? Ein Monsterwerk von 443 Seiten in übelstem Englisch, empfehlenswert (für alle, deren Interesse, haha, nun aufkeimt) nur in der doch sehr stark veränderten Filmversion mit Gwyneth Paltrow und Ethan Hawke.
Ach ja, wir waren in London. Wir hatten also nun den Grund unseres Aufenthalts herausgefunden. Wirklich abwenden konnten wir die Strafe nicht. Vielmehr breitete sie sich auf Shakespearsche Gefilde aus. Dabei kann uns keiner nachsagen, wir hätten "Romeo and Juliet" nicht gelesen. Verschlungen haben wir es! Ja, da war Wissen verpackt in romantischen, zu Herzen gehenden Szenen. Wissen in Form von, ähm, unflätigem Vokabular des elisabethanischen Englands. Ja, Shakespeare wurde respektiert, verehrt. Vor der London-Tour. Die Achtung vor dem Phänomen Shakespeare ging verloren, als wir, durch Stratford-upon-Avon hetzend, für Informationen über jedes von ihm seiner Frau, seinen Kindern, seinen Eltern oder seiner Royal Shakespeare Company bewohnte Haus aufnahmefähig und -willig sein sollten. Begeistert übernommen wurde dieser Informationsübertragungsauftrag von uns Schülern. Vorzustellen hat man sich das in etwa so: Der bemitleidenswerte betroffene Schüler steht vor seinen von langen Fußmärschen geplagten Mitschülern, welche ihn unbeteiligt und gezeichnet von Desinteresse mitfühlend - oder doch schadenfroh? - angrinsen und doch genau bemerken, dass das leidenschaftlich Vorgetragene ein Werk von fünf mit Liebe geopferten Minuten Arbeit ist. Referate dieser Art hatten wir natürlich, wo denkst du hin, verehrter Leser, nicht nur in Stratford zu bewältigen, nein, die Plage begleitete uns auf allen Stationen des Leidensweges London. Was aufgrund des Zeitmangels nicht an Ort und Stelle vorgetragen werden konnte, durfte, damit wir uns die Arbeit nicht umsonst gemacht hatten, schließlich vor den Toren des Londoner Stansted-Flughafens referiert werden, auf dem Fußgängerweg mit den vielen Reisenden inklusive deren Koffer, umtost vom Lärm der Straße, die tatsächlich das immense Verkehrsaufkommen aufwies, das man sich für eine am Flughafen gelegene Straße vorstellt.

Nun mag der Anschein erweckt worden sein, die ganze Reise war von Anfang bis Ende negativ. Das ist absolut falsch. Noch nicht einmal die Tatsache, dass Frontfrau Karin ihr Nachtlager im Zimmer der Mädels aufschlug (eine clevere Idee, von der sie sich auch in Oxford trotz eines der Gruppe zur Verfügung stehenden Betreuerschlafraums nicht abbringen ließ, weshalb Paddy (!) in den Genuss eines Einzelzimmers kam), kann als wirklich negativ bemängelt werden. Es ist sicherlich nicht leicht, eine Gruppe Achtzehn- bis Zwanzigjähriger, die alle im Härtefall auf ihre Volljährigkeit pochen könnten, zu hüten, und viele andere wären sicherlich stellenweise ausgetickt. Nicht unsere Karin. Sie meisterte ihre Sache bravourös, in jeder Hinsicht. Kein einziges Mal versuchte sie, uns ins Bett zu zerren um fit zu sein für den nächsten WALK!, war nicht beleidigt wenn wir gelegentlich doch die Augen gen Himmel verdrehen mussten, nachdem zu hunderttausendsten Mal der Name Dickens fiel, war noch nicht einmal böse auf fünf die Nacht und das Tanzen liebende Discobesucher, als diese sie um ca. 3 Uhr sich mit Kopfhörern wach haltend im Bett fanden. "Wie unverantwortlich, was tun diese Kinder der armen Frau an?" mag nun so manch einer denken, und in Schülern des lehrerverachtenden Schlages mag der Gedanke aufkeimen sie habe es nicht anders verdient nach all den Fußmärschen. Die exzessive Erforschung Sohos war jedoch weder absichtliche Verantwortungslosigkeit noch Rache für die täglichen Monstermärsche, sondern erwuchs einfach nur dem Verlangen, auch die nächtliche, verruchte Seite der Limelight-Stadt London kennen zu lernen.
Und jaaaa, wir haben Hamlet gesehen, im mehr oder weniger authentischen (weil rekonstruierten) Shakespear’schen Globe Theatre. Tatsächlich ein Muss für jeden Englisch-LKler, und ein Grund zur Sehnsucht für all diejenigen, die noch nicht dort waren. Es wird verklärt dargestellt, es erfüllt aber auch alle Erwartungen. Eine völlig neue Theatererfahrung bietend stellt es alles bisher Erlebte in den Schatten. Als groundling im Zuschauerraum zu stehen hat eben seinen besonderen Reiz, sogar wenn die Vorstellung drei Stunden dauert und das Wetter typisch für London ist. Wenn dann noch das Stück passt und auch die Darsteller einfach bravourös spielen, wie beides bei Hamlet der Fall war, macht man Frieden mit seinem Kursleiter, der 12/1 doch tatsächlich nur den Namen Shakespeare kannte.
Möglicherweise lag es daran, dass es die letzte Vorstellung der "White Group" im Globe für diese Saison war. Möglicherweise waren die Schauspieler einfach nur spitze. Möglicherweise war es das Umfeld, der Anblick des originalgetreu restaurierten Globe Theatre. Wahrscheinlich waren es alle drei Faktoren, die einen als Zuschauer die müden Beine, das Wetter, die vielen Stunden WALK! vorher vergessen ließen und dazu führten, dass man dachte, man wäre in eine Zeitmaschine gestiegen und befände sich nun im Original-Globe. Dass dem nicht so war erkannte man einzig und allein an den sporadisch über das Theater fliegenden Flugzeugen. Was soll man sagen, der Eintritt (5£) war definitiv gut angelegt und es ist einfach eine besondere Erfahrung, nur ca. 7-8 m von den Schauspielern entfernt zu sein. Leider galt allerdings striktes Fotoverbot, so dass wir leider keine Fotos von Theater oder Vorstellung zeigen können.

Um nun zu dem Punkt zu kommen, der wohl, wie uns allen schien, unserer Meisterin am meisten zusagte: reden wir doch mal über Declan McHugh. Den Shakespeare-Kenner, den Theater-Spieler, den London-Führer, den, der Karin Rosen schenkte. Nachdem wir, wie schon gesagt, 12/1 nur damit zubrachten, mit Informationen über Shakespeares Leben, seine Herkunft (wer war Shakespeare? Gab es ihn überhaupt?) und die diversen Theater seiner Zeit zugemüllt zu werden, mussten wir, belehrt von Declan, doch feststellen, dass der Englisch-LKler nur an der Oberfläche kratzt – selbst wenn er von einem Mitglied der Royal Shakespeare Company (ja, Karin ist dabei) unterrichtet wird. Mr McHugh, kompetent, als wäre er Hamlet Shakespeare persönlich, auferstanden von den Toten um über Papi zu referieren, konnte uns tatsächlich hineinreißen in die Welt des Elizabethan Age. Trotz des widrigen Wetters während der Führung, die eigentlich doch eher Geschichtsstunde, Theaterstück und fairy tale war, hatte er überaus aufmerksame Zuhörer.

Und so wird uns wohl, auf ewig, das Riesendenkmal vom Leben des Menschen im Gedächtnis bleiben, es wird uns vor Augen erscheinen, wenn immer wir an den geilsten Kursausflug (wie wahr, wie wahr, wir sind geflogen, welcher LK kann schon ein solches Erlebnis verbuchen?!) der Geschichte des sonst so, äh, unmotivierten OHG, denken. Wir danken unserer Meisterin für die Ermöglichung des anfangs unmöglich scheinenden und küssen ihr die Füße für alles.

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